Am Abend des 21. Januar fand im Audimax der Hochschule Magdeburg-Stendal vor fast 400 Gästen eine Lesung mit Prof. Dr. Steffen Mau zu seinem Buch „Ungleich vereint – warum der Osten anders bleibt“ statt. Bei der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von Prof. Dr. Christoph Damm, wurden nicht nur Fragen des Publikums beantwortet, auch Prof. Dr. Elke Grittmann und Prof. Dr. Matthias Quent diskutierten mit Mau über sein Buch.
„So sind sie eben, die Ossis“. „Das kann auch nur ein Wessi sagen“. Solche Sprüche hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Besonders für jemanden der nach der Jahrtausendwende geboren ist, sind diese Zuordnungen nur schwer nachzuvollziehen. Eine Vorverurteilung des menschlichen Charakters aufgrund des Bundeslandes in dem man großgeworden ist. Wie kann es sein, dass 35 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, nicht nur eine Teilung in den Köpfen von Menschen fortbesteht, sondern sich diese auch in anderen Lebensbereichen klar erkennen lässt? Bei vergangenen Landtagswahlen zeichneten sich die Umrisse von ehemals DDR und BRD so stark wie nie in der Verteilung der Wahlstimmen ab. „Die sozialen Narben sind bei vielen ehemaligen Ostdeutschen immer noch vorhanden. Das war keine Vereinigung auf Augenhöhe“, erläutert Soziologe und Bestseller-Autor Steffen Mau zu Beginn der Lesung, welche gemeinsam mit dem Institut für demokratische Kultur und Literaturhaus Magdeburg organisiert wurde.
In seinem neuen Buch beleuchtet Mau die anhaltenden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und analysiert, wie diese Ungleichheiten in verschiedenen Lebensbereichen – von der Bildung über den Arbeitsmarkt bis hin zur politischen Teilhabe – nachwirken. „Trotz der vielen Einheitserfolge lässt sich ein Fortbestand zweier Teilgesellschaften beobachten, die zwar zusammengewachsen sind, aber in ihren Konturen noch immer deutlich hervortreten. Ost und West sind mehr als zwei Himmelsrichtungen, wenn man auf soziale Strukturen, Mentalitäten und politische Bewusstseinsformen schaut“, heißt es in seinem Buch. Bei der Lesung erklärt Mau seine Thesen, seine Denkweise und wie er die Problematik wahrnimmt. Es wird deutlich – er nimmt es gelassen. Sein Buch sei ein diskursives Abklingbecken, wie er selbst sagt. Ein Versuch also, die aufgeheizte Debatte sachlich zu erläutern und aufzuzeigen, dass es nicht immer den einen Grund für unterschiedliche Verhaltensweisen gebe.
Um den Prozess genauer zu erklären, nutzt Mau den Begriff der ‚Ossifikation‘. Der medizinische Begriff beschreibt das Wachstum von neuem Gewebe, die ‚Verknöcherung‘ nach einer Fraktur. „Ein Sinnbild für Ostdeutschland als Land der Frakturen mit anschließender Vernarbung“, führt Mau aus. Die schwache Verwurzelung der Altparteien bezeugt den Anstieg der AfD-Wähler in Ostdeutschland. Im Vergleich der Teilgesellschaften ist Westdeutschland kulturell diverser oder hat eine höhere Bevölkerungsdichte, während Ostdeutschland eine ‚Schrumpfgesellschaft‘ zeigt, mit geringeren Löhnen und sinkender Geburtenrate. „Das Erstarken von rechtsextremistischen Bewegungen ist ganz offensichtlich ein ostdeutsches Phänomen. Vielleicht ist auch nicht Ostdeutschland der Sonderfall, sondern Westdeutschland und wir müssten verstärkt schauen, was in der Hinsicht dort besonders gut gelungen ist“, wirft Matthias Quent, Professor für Soziologie ein.
Maus Lösungsvorschläge sind die Ausarbeitung von Bürgerräten als demokratische Teilhabe. Es muss Möglichkeiten zur politischen Mitbestimmung abseits der Großparteien geben, die die Bevölkerung nutzen kann. Bei der anschließenden Diskussion mit den Professoren der Hochschule wurde zusätzlich der Diskurs in den Medien diskutiert. „Wir wissen, dass im Journalismus der Anteil von ostdeutschen Journalist:innen im Berufsfeld insgesamt relativ gering ist“, erklärt Elke Grittmann, Professorin für Medien und Gesellschaft. Es seien ähnliche Strukturen zu erkennen, wie Mau sie erläutert.
Mit regem Interesse des Publikums diskutierten die Wissenschaftler über Diskursräume, Unterschiede und Gemeinsamkeiten und wie man zukünftig mit Vorurteilen und klischeebehafteten Bildern umgehen kann. Politische Akteure versuchen sich die Debatte zwischen Ost und West für ihre Zwecke anzueignen. Mit ‚Ungleich vereint‘ und Diskussionen, wie an der Hochschule, soll eine Alternative dazu geschaffen werden, die ostdeutsche Geschichte wahrzunehmen und auf Augenhöhe zu diskutieren.
(Text: Leonie Deubig
)
Die Mitteilung ist ursprünglich auf der Webseite der Hochschule Magdeburg-Stendal erschienen: https://www.h2.de/hochschule/aktuelles/single-news/single/nachbeben-der-vereinigung-ein-abend-mit-steffen-mau.html