Sachsen-Anhalt-Monitor: Differenziertes Bild der Stimmung

Am 9. Dezember 2025 erschien der vom Institut für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal im Auftrag der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt erstellte Sachsen-Anhalt-Monitor 2025. Dieser gibt wichtige Aufschlüsse darüber, wie die Bevölkerung ihre Lage und ihr Land sieht, wie sie zur Demokratie steht und wie weit rassistische und antisemitische Einstellungen verbreitet sind. Es ergibt sich ein differenziertes Bild der Stimmung im Land im Kontext der globalen Polykrise und Erosion liberaler Demokratien.

Hohe Zufriedenheit und Verbundenheit nicht nur mit dem Land, tiefgreifende Probleme 
Die Menschen in Sachsen-Anhalt sind mit ihrem Leben überwiegend zufrieden und fühlen sich nicht nur dem Land und Ostdeutschland, sondern auch Gesamtdeutschland und Europa positiv verbunden. Die Verbundenheit erreicht einen Spitzenwert in der Geschichte des Monitors. An Sachsen-Anhalt werden besonders die ländlich-kleinstädtische Struktur und der soziale Zusammenhalt geschätzt. Allerdings driften die positive Einschätzung der individuellen Lage bzw. Zukunft und die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage bzw. Zukunft des Landes aktuell auseinander. Am häufigsten werden Infrastruktur/Mobilität und Wirtschaft/Finanzen als wichtige politische Probleme angesehen. Soziales/Gerechtigkeit und Erwerbsarbeit werden am zweithäufigsten genannt. An dritter Stelle folgen Migration/Integration und Bildung. Eine deutliche Mehrheit geht zudem von der Existenz des anthropogenen Klimawandels sowie davon aus, dass die Lebensweise zu seiner Eindämmung verändert werden muss. 

Große Zustimmung zur Demokratie und wenige Autokraten, aber viele fragile Demokraten
Die Zustimmung zur Idee der Demokratie ist groß, doch die Zufriedenheit mit ihrem Funktionieren bleibt moderat. Das Empfinden, nicht den gerechten Anteil zu erhalten und politisch wenig Einfluss zu besitzen sowie Verschwörungsglauben sind hierfür begünstigende Faktoren. Trotz dieser Einflüsse ist das Vertrauen in die Institutionen wie den Landtag und die Landesregierung mit über 60 Prozent vergleichsweise hoch. Allerdings können nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung als stabile Demokraten gelten, die antidemokratische Alternativen klar ablehnen. Mehr als die Hälfte gehört zu den „fragilen Demokraten“. Sie befürworten die Demokratie als Idee, widersprechen autoritären Modellen aber nicht grundsätzlich. Bildung und politische Orientierung sind für diese Haltung prägende Faktoren. Freiwilliges Engagement ist ein wichtiger Stützpfeiler des Vertrauens. Diese Beteiligungsbereitschaft wird als Ressource für eine lebendige demokratische Kultur bewertet.

Neo-Nazismus: marginalisiert, Brückenideologien: normalisiert, Vielfalt: disparat 

Neo-nazistische Einstellungen wie Sozialdarwinismus oder Verharmlosung des Nationalsozialismus sind vorhanden, aber marginalisiert. Brückenideologien wie Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit sind hingegen weit verbreitet und normalisiert. Autoritarismus und soziale Dominanzorientierungen begünstigen diese Einstellungen, ein hoher formaler Bildungsgrad wirkt ihnen entgegen. In ihrer Haltung zu gesellschaftlicher Vielfalt sind die Einstellungen disparat: Etwa die Hälfte sieht sie als Bereicherung, die andere nicht. Homosexualität wird von einer großen Mehrheit akzeptiert, stereotype Rollenerwartungen werden deutlich überwiegend abgelehnt.

Weite Verbreitung von Formen des Rassismus und Antisemitismus 

Die weite Verbreitung von Formen des Rassismus und Antisemitismus untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Antimuslimische und islamfeindliche Haltungen sowie Vorurteile gegenüber Roma und Sinti sind weit verbreitet. Tradierter Antisemitismus wird deutlich mehrheitlich zurückgewiesen, sekundäre und israelbezogene Ressentiments sind hingegen teils mehrheitsfähig. Bildung mindert solche Einstellungen, autoritäre Dispositionen und Verschwörungsglauben verstärken sie.

Fazit
Sachsen-Anhalt steht vor wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, die differenzierte Lösungsansätze erfordern. Der Monitor zeigt sowohl starke Bindungskräfte und Potenziale einer engagierten Zivilgesellschaft als auch Erosionserscheinungen im Vertrauen in politische Prozesse. Entscheidend wird sein, diese Kräfte zu stärken, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf Basis von Demokratie, Teilhabe und Menschenwürde dauerhaft zu sichern. Mitautorin Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya
 fasst zusammen: „Die Lage ist ernst, aber offen. Es gilt, Beteiligung zu ermöglichen und Fragen des Gemeinwesens miteinander kontrovers auszuhandeln.“ 

Download
Sachsen-Anhalt-Monitor auf der Homepage der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt:
lpb.sachsen-anhalt.de

Terminhinweis
Eine öffentliche Vorstellung der Ergebnisse des Sachsen-Anhalt-Monitors 2025 ist am 15. Dezember mit den beiden Autoren im Rahmen einer Videokonferenz von 10 bis 12 Uhr vorgesehen. Anmeldungen sind möglich unter: https://eveeno.com/192008413

Kontakt
Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya

katrin.reimer@h2.de 
Prof. Dr. Gert Pickel

pickel@rz.uni-leipzig.de

Zuerst erscheinen auf der Webseite der Hochschule Magdeburg-Stendal: https://www.h2.de/hochschule/aktuelles/single-news/single/sachsen-anhalt-monitor-differenziertes-bild-der-stimmung.html

Neuerscheinung:

Der Band „Emanzipatorische Wege aus den Krisen. Analysen, Perspektiven, Organisierung.“ ist erschienen. Er versammelt zugängliche und kompakte Beiträge von über 30 Autor:innen, die an der gleichnamigen Tagung vom 19. bis 21. Juni 2024 im Rahmen des Projekts „Integrative Demokratieforschung im Land Sachsen-Anhalt“ (IDLSA) mitwirkten. Gegenstand sind multiple Krisen, die aus verschiedenen Perspektiven analysiert werden. Zudem enthält der Band Beispiele der Organisierung, mit deren Hilfe Lösungsansätze für soziale, politische und ökologische Herausforderungen erarbeitet werden können. Der Band kann bestellt werden unter: https://www.mitteldeutscherverlag.de/geschichte/kulturgeschichte/reimer-gordinskaya,-k-kanter,-h-hg-emanzipatorische-wege-aus-den-krisen-detail

Wissensnetzwerk Rassismusforschung Ost: Blicke zurück und nach vorn

Gemeinsam mit dem Institut für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal richtete WinRa-Ost vom 13. bis 15. November 2025 seine Jahrestagung aus: „Rassismus(kritik) in der DDR und in der postsozialistischen Nachwendegesellschaft Ostdeutschlands“.

Seit 2023 gibt es das bundesweite Wissensnetzwerk Rassismusforschung (WinRa), gefördert vom Bundesministerium für ­Forschung, Technologie und Raumfahrt. Das Wissensnetzwerk systematisiert den disparaten Stand der deutschsprachigen Forschung zu Rassismus, identifiziert Lücken und vernetzt die verstreut Forschenden. Dabei legen die vier Regionalnetzwerke – Ost, West, Süd, Nord – verschiedene Schwerpunkte. Das Regionalnetzwerk Netzwerk WinRa-Ost widmet sich der Spezifik von Rassismus in der postsozialistischen Gesellschaft. Es ist am Standort Stendal der Hochschule Magdeburg-Stendal angesiedelt.

Gemeinsam mit dem Institut für demokratische Kultur (IdK) der Hochschule Magdeburg-Stendal richtete WinRa-Ost in Stendal vom 13. bis zum 15. November seine Jahrestagung aus. Die Jahreskonferenz „Rassismus(kritik) in der DDR und in der postsozialistischen Nachwendegesellschaft Ostdeutschlands“ wurde von beiden Sprecher:innen des Regionalnetzwerks Ost, Prof. Dr. Maisha M. Auma und Prof. Dr. Yurdakul gemeinsam mit der IdK-Vorstandsvorsitzenden , Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya, eröffnet. 

In ihrem Grußwort hob die Staatsministerin und Beauftragte für Antirassismus, Natalie Pawlik, die Bedeutung des Netzwerkes in der bundesdeutschen Hochschullandschaft hervor. Vier wichtige Wegbereiter:innen der Entwicklung antirassistischer Praxis und rassismuskritischen Wissens in Ostdeutschland kamen im Auftaktspodium zum Auftakt zu Wort. Doreen Denstädt, ehemalige Justizministerin Thüringens, und Mamad Mohamad, langjähriger Geschäftsführer von LAMSA e.V., zogen eine gemischte Bilanz. Zwar sei es in den letzten 20 Jahren gelungen, Communities aufzubauen und für eine gewisse öffentliche Präsenz eigener Perspektiven und Anliegen zu sorgen. Aber, da waren sie sich mit Quang Paasch, Ostdeutsche of Color, und David Zabel, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, einig: die Vereinzelung zu überwinden, bleibt eine aktuelle Herausforderung. Daran schlossen die Keynotes von Koloma Beck, Professorin an der Bundeswehrhochschule Hamburg und Paul Mecheril, Professor an der Universität Bielefeld, am zweiten Tag an. Mit der Präsenz von Wissenschaftler:innen of Colour bzw. mit Migrationsgeschichte seien Sozialfiguren in der akademischen Welt aufgetreten, die weltgesellschaftliche Bezüge mitbrächten. Und im Bereich von Theorieentwicklung und Forschung sei durchaus bemerkenswertes geleistet worden. Zugleich zeige die Virulenz von Rassismus die Grenzen akademischen Handelns auf. Es folgte die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse aus den Teilprojekten von WinRa-Ost in parallelen Workshops. Darunter auch die Rekonstruktion von institutionellem Rassismus in den Sicherheitsbehörden der DDR 1949 bis 1989/90 am Beispiel der Bezirke Magdeburg und Halle (Dr. Christian Dietrich). Der spätere Nachmittag war dann Bereichen gewidmet, die noch eher an den Rändern der Rassismusforschung liegen oder deren Verhältnis zu ihr ungeklärt ist: osteuropabezogener Rassismus (Dr. Darja Klingenberg, Viadrina-Universität Frankfurt) und Antisemitismus(kritik) in der DDR und Ostdeutschland (Prof. Dr. Katrin Reimer-Gordinskaya). Zum Abschluss wurde der am Beginn ausgelegte Faden wieder aufgenommen. Mit Dr. Heike Kanter und Dr. Helge Petersen rekonstruierten zwei ehemalige Mitarbeiter:innen des IdK Facetten der migrantischen Selbstorganisierung vor und während des Umbruchs von 1989 sowie in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.   

Weitere Informationen über das Regionalnetzwerk Ost
www.winra.org

Zuerst erschienen auf der Webseite der Hochschule Magdeburg-Stendal https://www.h2.de/hochschule/aktuelles/single-news/single/wissensnetzwerk-rassismusforschung-ost-blicke-zurueck-und-nach-vorn.html

Das Institut für demokratische Kultur hat gemeinsam mit den Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. und Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt am 27. Oktober 2025 zu einem Fachtag nach Magdeburg eingeladen. Es nahmen über hundert Fachkräfte und Interessierte teil

„Strukturschwach – abgehängt – demokratiefeindlich: die Assoziationen mit östlichen Bundesländern, wie Sachsen-Anhalt, fallen häufig eher defizitär aus. Hohe Zustimmungswerte für rechtsextreme Positionen sowie eine oftmals attestierte schwache Zivilgesellschaft nähren einen gesellschaftspolitischen Fatalismus. Was dabei meist unerwähnt bleibt, sind die vielen kleinen Leuchtturmprojekte, die trotz allem immer wieder für Hoffnung sorgen.“

Bei dem diesjährigen Fachtag wurde ein Blick auf ein solches Gelingen progressiver Praktiken und Potenziale geworfen. 

Den Eröffnungsvortrag hielt Prof. Dr. Matthias Quent (Vorstandsvorsitzender des Instituts für demokratische Kultur) unter dem Titel „Aktuelle Entwicklungen des Rechtsextremismus in Ostdeutschland“ gefolgt von Christopher Grobs (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg), mit einem Vortrag zu „Politik in der Peripherie? Progressive Perspektiven ländlicher Regionen im Lichtkegel multipler Krisen“.

Anschließend begann eine produktive Workshop-Phase mit Themenschwerpunkten zu „(post-)migrantischem Engagement in Ostdeutschland“, „Transformative Organizing – Arbeit im Quartier und Nachbarschafts-Organisierung“, „Strategien gegen Rechtsextremismus im Betrieb“ sowie zu „Ethnografische Erkundungen im ländlichen Sachsen-Anhalt“ (eine ausführliche Workshop-Beschreibung finden Sie unter diesem Text).

Beendet wurde der gut besuchte Fachtag schließlich mit einer Podiumsdiskussion unter der Überschrift: „Gelingfaktoren wirkungsvoller zivilgesellschaftlicher Praxis“. Diskutant*innen waren Prof.in Dr.in Katrin Reimer-Gordinskaya (Institut für demokratische Kultur), Luna Möbius (Content Creator & Referentin für politische Kommunikation), Anne Mehrer (Kulturbüro Sachsen), sowie Nico Schulz (Bürgermeister Osterburg).

Übersicht der Workshops des Fachtages in Magdeburg:

Workshop 1: Mit Sicherheit! – Strategien für zivilgesellschaftliches, (post-)migrantisches Engagement in Ostdeutschland

Zunehmende Bedrohungen gegen Engagierte führen nicht selten zu einem Gefühl der Ohnmacht. Viele machen trotzdem weiter, „gerade jetzt!“. Oft bleibt wenig Zeit, sich mit der eigenen Sicherheit zu beschäftigen. Womit anfangen?  In diesem Workshop zeigen wir euch, warum es sich lohnt, das Thema Sicherheit anzugehen und welche (ersten) Schritte ihr als Aktive, Initiative oder Organisation machen könnt. Gemeinsam entwickeln wir mutige Strategien, ohne dabei auszubrennen. Wir schauen auf die Bedeutung von solidarischen Strukturen & Allianzen.

Referent:innen: DaMOst e.V., Projekt SEMO – Sicheres Engagement in Ostdeutschland für (post-)migrantische Organisationen       

Workshop 2:

Transformative Organizing – Arbeit im Quartier und Nachbarschafts-Organisierung

Im Projekt „Demokratie mobilisieren im Osten“ (DemO) werden Menschen in Sachsen-Anhalt aus unterschiedlichen Lebensrealitäten zusammengebracht, um Räume für Austausch, Bildung und gemeinsame Aktionen zu schaffen. Ziel ist es, Menschen, die sich bislang von demokratischer Teilhabe ausgeschlossen fühlen, zu aktivem Engagement zu befähigen und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Im Workshop stellen wir Ansätze des Transformative Organizing vor und diskutieren, wie diese auf aktuelle Herausforderungen der politischen Bildung angewendet werden können. So sollen neue Netzwerke entstehen, die den demokratischen Zusammenhalt insbesondere in Stadtteilen, in denen ein hohes antidemokratischen Wahlpotential herrscht, die Wahlbeteiligung niedrig ist und Menschen sich häufig von politischen Beteiligungsprozessen ausgeschlossen sehen, nachhaltig fördern.

Referent:innen: SozialStärken e.V., Projekt DeMo – Demokratie mobilisieren im Osten

Workshop 3: Land in Sicht?! Ethnografische Erkundungen im ländlichen Sachsen-Anhalt

Ob zivilgesellschaftlich schwach, rechts(extrem), sozioökonomisch abgehängt oder infrastrukturell abgeschnitten: An den ostdeutschen, ländlichen Raum werden diverse, zumeist negative Deutungen politischer Dimensionen herangetragen. Doch wie erleben Menschen vor Ort, zivilgesellschaftliche Akteur*innen etc. die politische Stimmung dort, wo sie leben? Welchen politischen, ökonomischen und sozialen Problemen fühlen sie sich gegenübergestellt? Wie reagieren sie auf und bearbeiten diese? Im Seminar haben sich Studierende im Master Sozialwissenschaften an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg mittels ethnografischer Forschung diesem umkämpften als auch relevanten Themenbereich ein Semester lang gewidmet und präsentieren ihre Ergebnisse im Rahmen des Fachtags.

Leitung: Dr.in Josephine Jellen, (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie / Mikrosoziologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg)

Workshop 4: Strategien gegen Rechtsextremismus im Betrieb

Rechtsextreme Einflüsse in verschiedenste Lebensbereiche haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Auch auf den betrieblichen Alltag versuchen Rechtsextreme Einfluss zu nehmen und Räume für ihre Ideologien zu schafen. Im Rahmen des Workshops sollen verschiedene Rechtsextreme Strategien und Projekte im Bereich der Arbeitswelt vorgestellt werden und anhand von erfolgreichen Beispielen gezeigt werden, wie diesen etwas entgegengesetzt werden kann.

Referent:innen: Verein zur Bewahrung der Demokratie e.V.

Ringvorlesung 2025 „Der Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt und seine Folgen“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal

Mit der Abschlussveranstaltung am 1. Juli 2025 endete die interdisziplinäre Ringvorlesung „Der Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt und seine Folgen“ an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Die Vorlesungsreihe, die im Rahmen des Projekts „Integrative Demokratieforschung im Land Sachsen-Anhalt“ (IDLSA) stattfand, bot über zehn Termine hinweg Raum für fachlichen Austausch, kritische Reflexion und gesellschaftlichen Dialog.

Ausgangspunkt war der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024, der die Stadt nachhaltig geprägt und eine breite öffentliche Debatte über Ursachen, Verantwortung und gesellschaftliche Folgen ausgelöst hat. Die Ringvorlesung nahm diese Debatte auf und fragte danach, wie sich das Leben in der Stadt verändert hat und eine gemeinsame Aufarbeitung gelingen kann.

Seit dem Start am 22. April 2025 beteiligten sich mehr als 300 Personen aus Hochschule und Stadtgesellschaft, darunter Studierende, Lehrende, Forschende sowie interessierte Bürger*innen. Die Veranstaltungen fanden sowohl in Präsenz als auch online statt und richteten sich an eine breite Öffentlichkeit.

Organisiert wurde die Reihe von Prof.in Dr.in Josefine Heusinger, Prof.in Dr.in Claudia Nothelle, Prof.in Dr.in Elke Grittmann und Prof. Dr. Matthias Quent.

Renommierte Expert*innen aus Wissenschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft kamen in den einzelnen Sitzungen zu Wort, darunter Prof.in Dr.in Britta Bannenberg (Universität Gießen), Prof. Dr. Julian Junk (PRIF Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung), Heike Kleffner (VBRG e.V.), Emma Mack (MDR), Rima Hanano (CLAIM) und Antje Arndt (Mobile Opferberatung Magdeburg).

Im Mittelpunkt der Reihe standen drei thematische Schwerpunkte:

  • Tat und Hintergründe: mit Blick auf Täterbiografien, anti-muslimischen Rassismus, Islamismus und Auswirkungen auf die Stadtgesellschaft
  • Mediatisierung und Verantwortung: unter anderem zu Radikalisierung in sozialen Medien und traumasensibler Berichterstattung
  • Folgen & Bewältigung: mit Fokus auf psychosoziale Versorgung, migrantische Zukunftsperspektiven und Erinnerungskultur

Zum Abschluss sprachen Prof.in Dr.in Claudia Nothelle und Prof. Dr. Matthias Quent mit der Prorektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal Prof.in Dr.in Kerstin Baumgarten und dem Rektor der Otto-von-Guericke-Universität Prof. Dr. Jens Strackeljan. Gemeinsam mit dem Publikum wurden Perspektiven für Erinnerungskultur, gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Rolle der Hochschulen diskutiert.

Die Ringvorlesung hat deutlich gemacht, wie die Hochschulen als Orte der kritischen Auseinandersetzung, der politischen Bildung und des solidarischen Zusammenhalts wirken können.

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz

Ein Festakt würdigt 10 Jahre ,Denken ohne Geländer‘ in Stendal

Anerkennung und Dank von Justizministerin und Oberbürgermeister, Musik und ein Gespräch mit einem renommierten Soziologen aus Israel – im Theater der Altmark ist am Sonnabend das Jubiläum der Veranstaltungsreihe „Denken ohne Geländer“ mit einem Festakt gewürdigt worden.

Die Intendantin des Theaters der Altmark, Dorotty Szalma, eröffnete den Festakt am Sonnabend in Stendal. Zehn Jahre ,Denken ohne Geländer‘ sind ein Jahrzehnt des Erinnerns an den Zivilisationsbruch und seiner Bedeutung in der Gegenwart. Zehn Jahre, in denen tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene sich mithilfe von Filmen, Theaterstücken, Vorträgen und Workshops mit altem und neuem Antisemitismus, mit unterschiedlichen Erinnerungskulturen und deutsch-jüdischer Geschichte befasst haben.

Ein Jahrzehnt, das „aufzeigt, was aus Hingabe und Begeisterung erwachsen kann.“ Mit diesen Worten drückte Landesjustizministerin Franziska Weidinger am Sonnabend im Theater der Altmark ihre Wertschätzung für eine Veranstaltungsreihe aus, die einzigartig in Sachsen-Anhalt ist. Die Hochschule Magdeburg-Stendal, das TdA und die Landeszentrale für politische Bildung gestalten seit 2016 rund um den 27. Januar, den Tag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, ein Programm gegen das Vergessen und für Menschlichkeit. Der Schwerpunkt liegt in der Hansestadt Stendal, Veranstaltungsorte finden sich aber auch in beiden altmärkischen Landkreisen. Franziska Weidinger, die in Vertretung des terminlich verhinderten Ministerpräsidenten Reiner Haseloff gekommen war, stellte in ihrer Rede „eindeutig und zweifelsfrei“ klar, dass den „absolut haltlosen Forderungen“ der AfD, die Landeszentrale für politische Bildung abzuschaffen, im Land Sachsen-Anhalt entschieden entgegengetreten wird. Für dieses Statement erntete sie kräftigen Applaus.

Die Landeszentrale gestaltet „Denken ohne Geländer“ von der ersten Stunde an mit, vor allem in Person der stellvertretenden Direktorin Cornelia Habisch. Im Interview mit ihr wollte Moderatorin Antonia Kaloff vom MDR wissen, wie man junge Menschen für die Auseinandersetzung mit der Geschichte gewinnt. Cornelia Habisch sprach von der sehr großen Wirkung, die Berichte von Zeitzeugen, auch in medialer Form, haben: „Sie motivieren ganz viele Jugendliche, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen.“ 14 Veranstaltungen in Grundschulen, Sekundarschulen, Gymnasien und im Berufsschulzentrum des Landkreises Stendal hat „Denken ohne Geländer“ 2025 im Programm, die sich mit dem geistigen Erbe der Auschwitz-Überlebenden Batsheva Dagan befassen. Sie starb 2024 im Alter von 100 Jahren in Israel. Ursprünglich sollten es zehn Workshops sein – die Nachfrage von Schulen aus der gesamten Altmark war enorm hoch.

Für Stendals Oberbürgermeister Bastian Sieler ist die Begegnung mit dem Holocaust-Überlebenden Mieczysław Grochowski aus Polen das Ereignis, auf das er im aktuellen Programm besonderen Wert legt. Im Rückblick auf 10 Jahre ,Denken ohne Geländer‘ zeigte er sich stolz darauf, „dass das Miteinander, die Verzahnung der unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteure aus Kultur und Bildung so beispiellos funktioniert.“ Sieler dankte auch den Förderern, in erster Linie dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, das mit Mitteln aus dem Landesprogramm „Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit“ dieses Projekt ermöglicht.

Im Gespräch zwischen dem Ehrengast des Abends, dem israelischen Soziologen Natan Sznaider, und Katrin Reimer-Gordinskaya von der Hochschule Magdeburg-Stendal, ging es ums deutsch-jüdische Gespräch seit der Aufklärung bis in die Gegenwart. Was mit Lessing und dem in Dessau geborenen Mendelssohn begann, wurde in der Gestalt von Nathan dem Weisen bald zu einem unerreichten Wunschbild. Juden, die sich durch Assimilation Anerkennung verschaffen wollten, blieben von jener ,Toleranz‘ abhängig, die ihnen alsbald entzogen wurde. Und die, die in der Tradition weiterlebten, blieben bedroht. Weder Unsichtbarkeit noch Sichtbarkeit boten Sicherheit. Dieses Dilemma zwischen Anpassung und Autonomie steht im Zentrum des jüngsten Buches von Sznaider, „Die jüdische Wunde“ (2024). An ihm wird die Ambivalenz der Moderne deutlich, die in der Katastrophe des Holocaust mündete.

Als Hannah Arendt 1959 den Lessing-Preis erhielt, sollte sie den Deutschen den Weg zurück in den Humanismus des 18. Jahrhunderts ebnen. Diese ihr zugedachte Rolle erfüllte sie, die das ,Denken ohne Geländer‘ zu praktizieren suchte, nicht. In ihrer Rede über „Menschlichkeit in finsteren Zeiten“ erteilte sie dem Wunsch nach der ,Rückkehr des Nathan‘ eine Absage. Vielmehr gab sie eine „jüdische Antwort auf die deutsche Frage“, so Sznaider. Eine ,Bewältigung‘ des Holocaust ist ihr zufolge nicht möglich: „Das Höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, daß es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt.“ Ob angesichts dessen im Reden zwischen Juden und Deutschen die Illusion oder Wirklichkeit eines Gesprächs entsteht, bleibt offen. Die Möglichkeit dazu umreißt Arendt indes auch: „Im Gespräch manifestiert sich die politische Bedeutung der Freundschaft und der ihr eigentümlichen Menschlichkeit.“, so auch das Motto der diesjährigen Veranstaltungswoche.

Mit dem Festakt, bei dem auch die Bundestagsabgeordneten aus der Altmark, Dr. Herbert Wollmann (SPD) und Dr. Marcus Faber (FDP), zu Gast waren, ist „Denken ohne Geländer“ 2025 eröffnet.

Alle Informationen zum Programm, das bis zum 9. Februar andauert, gibt es auf der Projektwebsite www.denken-ohne-gelaender.de

Fotos: Edda Gehrmann

­­Kontakt für Medienanfragen:                                                        

Edda Gehrmann                                                                                 Antje Hille
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Nachbeben der Vereinigung. Ein Abend mit Steffen Mau

Steffen Mau im Audimax im Gespräch auf dem Podium vor fast 400 Gästen. Foto: Matthias Piekacz

Am Abend des 21. Januar fand im Audimax der Hochschule Magdeburg-Stendal vor fast 400 Gästen eine Lesung mit Prof. Dr. Steffen Mau zu seinem Buch „Ungleich vereint – warum der Osten anders bleibt“ statt. Bei der anschließenden Diskussionsrunde, moderiert von Prof. Dr. Christoph Damm, wurden nicht nur Fragen des Publikums beantwortet, auch Prof. Dr. Elke Grittmann und Prof. Dr. Matthias Quent diskutierten mit Mau über sein Buch.

„So sind sie eben, die Ossis“. „Das kann auch nur ein Wessi sagen“. Solche Sprüche hat bestimmt jeder schon einmal gehört. Besonders für jemanden der nach der Jahrtausendwende geboren ist, sind diese Zuordnungen nur schwer nachzuvollziehen. Eine Vorverurteilung des menschlichen Charakters aufgrund des Bundeslandes in dem man großgeworden ist. Wie kann es sein, dass 35 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands, nicht nur eine Teilung in den Köpfen von Menschen fortbesteht, sondern sich diese auch in anderen Lebensbereichen klar erkennen lässt? Bei vergangenen Landtagswahlen zeichneten sich die Umrisse von ehemals DDR und BRD so stark wie nie in der Verteilung der Wahlstimmen ab. „Die sozialen Narben sind bei vielen ehemaligen Ostdeutschen immer noch vorhanden. Das war keine Vereinigung auf Augenhöhe“, erläutert Soziologe und Bestseller-Autor Steffen Mau zu Beginn der Lesung, welche gemeinsam mit dem Institut für demokratische Kultur und Literaturhaus Magdeburg organisiert wurde.



In seinem neuen Buch beleuchtet Mau die anhaltenden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und analysiert, wie diese Ungleichheiten in verschiedenen Lebensbereichen – von der Bildung über den Arbeitsmarkt bis hin zur politischen Teilhabe – nachwirken. „Trotz der vielen Einheitserfolge lässt sich ein Fortbestand zweier Teilgesellschaften beobachten, die zwar zusammengewachsen sind, aber in ihren Konturen noch immer deutlich hervortreten. Ost und West sind mehr als zwei Himmelsrichtungen, wenn man auf soziale Strukturen, Mentalitäten und politische Bewusstseinsformen schaut“, heißt es in seinem Buch. Bei der Lesung erklärt Mau seine Thesen, seine Denkweise und wie er die Problematik wahrnimmt. Es wird deutlich – er nimmt es gelassen. Sein Buch sei ein diskursives Abklingbecken, wie er selbst sagt. Ein Versuch also, die aufgeheizte Debatte sachlich zu erläutern und aufzuzeigen, dass es nicht immer den einen Grund für unterschiedliche Verhaltensweisen gebe.

Um den Prozess genauer zu erklären, nutzt Mau den Begriff der ‚Ossifikation‘. Der medizinische Begriff beschreibt das Wachstum von neuem Gewebe, die ‚Verknöcherung‘ nach einer Fraktur. „Ein Sinnbild für Ostdeutschland als Land der Frakturen mit anschließender Vernarbung“, führt Mau aus. Die schwache Verwurzelung der Altparteien bezeugt den Anstieg der AfD-Wähler in Ostdeutschland. Im Vergleich der Teilgesellschaften ist Westdeutschland kulturell diverser oder hat eine höhere Bevölkerungsdichte, während Ostdeutschland eine ‚Schrumpfgesellschaft‘ zeigt, mit geringeren Löhnen und sinkender Geburtenrate. „Das Erstarken von rechtsextremistischen Bewegungen ist ganz offensichtlich ein ostdeutsches Phänomen. Vielleicht ist auch nicht Ostdeutschland der Sonderfall, sondern Westdeutschland und wir müssten verstärkt schauen, was in der Hinsicht dort besonders gut gelungen ist“, wirft Matthias Quent, Professor für Soziologie ein.



Maus Lösungsvorschläge sind die Ausarbeitung von Bürgerräten als demokratische Teilhabe. Es muss Möglichkeiten zur politischen Mitbestimmung abseits der Großparteien geben, die die Bevölkerung nutzen kann. Bei der anschließenden Diskussion mit den Professoren der Hochschule wurde zusätzlich der Diskurs in den Medien diskutiert. „Wir wissen, dass im Journalismus der Anteil von ostdeutschen Journalist:innen im Berufsfeld insgesamt relativ gering ist“, erklärt Elke Grittmann, Professorin für Medien und Gesellschaft. Es seien ähnliche Strukturen zu erkennen, wie Mau sie erläutert.



Mit regem Interesse des Publikums diskutierten die Wissenschaftler über Diskursräume, Unterschiede und Gemeinsamkeiten und wie man zukünftig mit Vorurteilen und klischeebehafteten Bildern umgehen kann. Politische Akteure versuchen sich die Debatte zwischen Ost und West für ihre Zwecke anzueignen. Mit ‚Ungleich vereint‘ und Diskussionen, wie an der Hochschule, soll eine Alternative dazu geschaffen werden, die ostdeutsche Geschichte wahrzunehmen und auf Augenhöhe zu diskutieren. 

(Text: Leonie Deubig
)

Die Mitteilung ist ursprünglich auf der Webseite der Hochschule Magdeburg-Stendal erschienen: https://www.h2.de/hochschule/aktuelles/single-news/single/nachbeben-der-vereinigung-ein-abend-mit-steffen-mau.html

Sachsen-Anhalt-Tag 2024

Nach fünfjähriger Pause fand der Sachsen-Anhalt-Tag 2024 erstmals seit der Covid-19 Pandemie wieder statt. Gastgeberin war die Stadt Stendal, die unter dem Motto „Mittelalter trifft Moderne“ Gäst:innen aus ganz Deutschland zum Landesfest in die Altmark einlud. Vom 30. August bis zum 01. September 2024 kamen rund 10.000 Mitwirkende aus allen Landesteilen, um mit Konzerten, Theater, Musik und Festumzügen, aber auch mit Informationen und Diskussionen den Besucher:innen die Besonderheiten Sachsen-Anhalts zu präsentieren und näherzubringen.

Auch die Landeszentrale für politische Bildung beteiligte sich mit einer Themenstraße unter dem Motto „Weltoffenes Sachsen-Anhalt“ am 23. Sachsen-Anhalt-Tag. Erstmals konnte sich in diesem Rahmen auch das Institut , das an der Hochschule Magdeburg-Stendal angesiedelt und damit auch in der Gastgeberregion verortet ist, sich auf dem Sachsen-Anhalt-Tag 2024 einer breiten Zivilgesellschaft präsentieren. Mit einem Informationsstand war das IdK an allen drei Festtagen vertreten und informierte über seine aktuelle Studien und Projekte.

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